Im Interesse der Lohnabhängigen gemeinsam für eine starke LINKE

Die Wahl zum 20. Deutschen Bundestag am 26. September 2021 ist aus mindestens drei Gründen historisch: Erstens wird diese Wahl aller Voraussicht nach noch unter zahlreichen Einschränkungen stattfinden, die aus der 2020 weltweit ausgebrochenen Corona-Pandemie resultieren. Zweitens wird sich zu dieser Wahl zum ersten Mal die amtierende Regierungschefin freiwillig nicht um ein weiteres Mandat bewerben. Drittens markiert diese Wahl parteipolitisch einen Einschnitt, als sich die Gewichte der politischen Farben aller Voraussicht nach neu verteilen werden.

Die Veränderungen zwischen und in den Parteien sind auch Ausdrucksform gesellschaftlicher Wandlungen. Die SPD hat ihren ›Volkspartei‹-Status bereits länger verloren. Die CDU war im Begriff, von Bündnis 90/Die Grünen in Umfragen und bei Wahlen überholt zu werden, als die Pandemie begann und den Unionsparteien kaum mehr für möglich gehaltene Umfrageergebnisse deutlich über 30% bescherte. Die FDP hingegen kämpft um ihre  Existenzberechtigung, da selbst Unternehmens-Eliten für die Zeit nach der Wahl auf eine schwarz-grüne Regierung setzen. Die AfD schließlich stagniert. Ihre Spitze versucht sich in Lippenbekenntnissen zu Demokratie und gesellschaftlicher Vielfalt, kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass ihr Häutungsprozess zu einer rechtsradikalen Partei abgeschlossen ist.

Für linke Politik und insbesondere DIE LINKE ist die aktuelle Lage widersprüchlich: Zu den Chancen dieses Wahlkampfes zählen sicherlich die Entwicklungen dahin, dass neoliberale Glaubenssätze zur Schuldenbremse, zum Arbeitsmarkt und zur sozialen Sicherung weitgehend abgewirtschaftet haben,i und selbst im bürgerlichen Lager ist der Umgang mit Schuldenbremse und Schwarzer Null zunehmend umstritten. Mit Friedrich Merz ist die Gallionsfigur schlechthin des offensiven Neoliberalismus in Deutschland zwei Mal mit einer Kandidatur für den Vorsitz der CDU gescheitert. Auch bürgerliche Ökonomen und Bündnis 90/Die Grünen propagieren ein Ende oder zumindest investitionsförderliche Reformen der Schuldenbremse. Zuletzt wurden hierzu sogar Bemerkungen aus dem Merkel-Kanzleramt laut.

Gleichwohl wird die Anwendung der Schuldenbremse (GG 109) bald wieder auf der politischen Agenda stehen. Immerhin wurde diese im Mai 2009 zum Höhepunkt der Finanzkrise mit 2/3-Mehrheit verabschiedet. 2012 wurde zudem – auf Druck der Bundesregierung – der EU-Fiskalpakt verabschiedet.  Austeritätspolitik ist somit grundgesetzlich und im Rahmen der EU institutionell verankert.

Außerdem propagieren die aggressivsten Kräfte des Kapitals unverdrossen den Kampf um die Verteilung der Corona-Krisen-Kosten: Konzernverbände wie BDI und Gesamtmetall und ihnen nahestehende Politiker fordern Unternehmenssteuersenkungen, Lohnverzicht, Nullrunden bei der Rente und Erhöhung des Renteneintrittsalters sowie weitere massive Kürzungen im Sozialbereich. Ohnehin hat die Politik der CDU/SPD-Regierung dazu geführt, dass Alleinerziehende, Minijobber, Kurzarbeiter, Soloselbständige und Kulturschaffende die Leidtragenden der Corona-Krise sind.

Und SPD-Sozialminister Heil hat fast ein ganzes Jahr dazu gebraucht, um auch nur festzustellen, dass der Hartz IV-Satz erst recht unter Corona-Bedingungen nicht für ein menschenwürdiges Leben reicht.

Diese Widersprüche im herrschenden Lager bieten in diesem „Superwahljahr“ (Bundestags-, 6 Landtags- und 4 Kommunalwahlen) und weit darüber hinaus Angriffspunkte und Chancen für linke Politik. Es gibt aber auch schwerwiegende Probleme für DIE LINKE in Deutschland anno 2021: DIE LINKE ist zunächst äußerlich, was potentielle Wähler*innen angeht, in einem ungünstigen Sandwich zwischen mehreren Parteien. Am einen Ende finden sich die Bündnisgrünen, denen viele Wähler*innen Vorschusslorbeeren als vermeintlich deutlichstem Gegenpol zur rassistischen AfD, als ›natürliche‹ Adressatin für Forderungen nach weitgehender Klimapolitik sowie als Verkörperung eines weltoffenen, vor allem großstädtischen ›Lebensgefühls‹ entgegenbringen. Am anderen Ende findet sich die AfD, zu der viele Protestwähler*innen, auch gewerkschaftlich organisierte Beschäftigte sowie Erwerbslose abgewandert sind, die einstmals ihr Kreuz bei der LINKEN gemacht haben.

Hinzu kommen zahlreiche Klein- und Kleinstparteien (allein schon PARTEI, Tierschutzpartei, Piraten, Volt und DIEM25 haben zusammen bei der Europawahl ebenso große Stimmanteile erzielt wie DIE LINKE), die auf kommunaler und Landesebene in den alten Bundesländern gerade genug vom linken Elektorat abwerben können, um uns empfindlich treffen zu können. Ein drittes Problem: Nicht wenige Wähler*innen in Wahlgebieten mit ärmerer Wohnbevölkerung, die gerade sozialpolitisch auf DIE LINKE gesetzt und auf Verbesserungen ihrer Lage gehofft hatten, haben sich in den vergangenen Wahlen aus Enttäuschung politisch zurückgezogen und beteiligen sich nicht mehr an Wahlen.

Es führt für DIE LINKE kein Weg daran vorbei, im Auge und im Bewusstsein der Wählerinnen und Wähler ihre Kompetenz und ihren Gebrauchswert in den wichtigsten Gegenwartsfragen zu erhöhen. DIE LINKE muss Antworten auf die Probleme bieten, die die Menschen bewegen. Diese Antworten müssen realistisch sein, weil sie ihre Anknüpfungspunkte und Ansprechpartner*innen in der Gegenwart und nicht erst in einem fernen Utopia finden. Zugleich müssen sie radikal sein, weil sie an die Wurzel des Problems gehen und dabei auch nicht vor kapitalistischem Privateigentum, wirtschaftlicher Macht und verbliebenen Glaubenssätzen des Neoliberalismus zurückschrecken. In dieser Zeit sind linke Antworten besonders dringend, weil die Menschheitsfragen soziale Ungleichheit, Klimawandel und Kriegsgefahr ineinandergreifen. Linke Politik muss deswegen die soziale Frage, den Klimaschutz und Friedenspolitik zusammendenken. Eine gerechte Weltwirtschaftsordnung, ein System kollektiver Sicherheit ohne Vorherrschaft der Großmächte und eine faire Lastenteilung beim Klimaschutz bedingen und ermöglichen sich wechselseitig.

Eine Reihe von linken Zielen stößt heute in der Gesellschaft längst nicht mehr auf derart grundsätzlichen Widerspruch wie noch vor wenigen Jahren: Bis auf neoliberale und erzkonservative Minderheiten bestreitet niemand mehr die Notwendigkeit, die deutsche Wirtschaft auf einen klimagerechteren Entwicklungspfad zu führen. Kaum jemand bestreitet noch, dass es deutlich mehr Arbeitsplätze im Sorge-Bereich benötigt, und ebenso wenige stellen sich dem entgegen, diese besser auszustatten und zu entlohnen. Fast niemand stellt sich frontal in den Weg einer Politik für mehr Geschlechtergerechtigkeit. Nur Außenseiter wollen den Ausbau des (allerdings durch die Corona-Pandemie angeschlagenen) öffentlichen Nah- und Fernverkehrs verhindern, und fast alle unterstützen den Ausbau umweltfreundlicherer Antriebssysteme. Niemand verteidigt die explodierenden Mieten in den Metropolen und Wachstumsregionen. Nur die AfD beklagt die Wirklichkeit der Bundesrepublik als Einwanderungsgesellschaft.

Allerdings führt ein Rückgang des Widerstands gegen sozialere und ökologischere Politik nicht von selbst zu einer menschengerechteren Politik – hierzu bedarf es stärkerer Durchsetzungsfähigkeit, wie schon die soziale Schieflage bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie zeigt. Hier ist DIE LINKE gefordert: innerhalb und außerhalb der Parlamente.

Die Bundestagsfraktion ist und bleibt absehbar das wichtigste Aushängeschild einer Partei. Deswegen braucht DIE LINKE Genoss*innen im Bundestag, die weithin wahrnehmbar eine Politik im Sinne der deutlichen Mehrheit der Menschen, also der Lohnabhängigen und sozial Ausgegrenzten machen, durchsetzen und kommunizieren können und wollen. Um bei den genannten wichtigen Gegenwarts- und Zukunftsaufgaben politik-, sprech- und  bündnisfähig zu sein, muss DIE LINKE mit ihren Abgeordneten die zugehörigen Politikfelder kompetent besetzen. Wir brauchen mehr als bisher Wirtschafts- und Finanzpolitiker*innen im Bundestag, um das Regime der Schuldenbremse zu überwinden.

Wir brauchen Arbeits- und Wirtschafts-, Umwelt- und Energiepolitiker*innen, die eine Politik für humane und zukunftsfähige Arbeitsplätze vorantreiben. Wir brauchen Sozialpolitiker*innen, die die Agenda 2010-Hinterlassenschaften – Hartz IV, Rentenkürzungen und Privatisierung des Gesundheitswesens – an vorderster Front bekämpfen. Wir brauchen Außen- und Sicherheitspolitiker*innen, die heißen und kalten Kriegen eine europäische und internationale Friedensordnung entgegensetzen.

Das andere Grundproblem der LINKEN ist ein Inneres. Wir weisen die Unterscheidung zwischen ›Bewegungsorientierung‹ und ›Regierungssozialist*innen‹ zurück. Bewegung und (Mit)Regierung sind beide Mittel zum Zweck, um linke Ziele durchzusetzen. Wenn es der Linken gelänge, Druck aus den Betrieben und von der Straße aufzubauen, wäre dies immer ein wichtiger Beitrag zur Stärkung fortschrittlicher Politik. Im Parlament gilt für die Alternative Opposition oder Regierung als Messlatte, womit gelingt es besser, spürbare Verbesserungen für Lohnabhängige und sozial Benachteiligte durchzusetzen. Das erste Ziel muss die Ablösung der CDU als Regierungspartei und das Hauptziel der Beginn einer neuen Verteilung von Lebenschancen für alle unsere Wählergruppen sein.

Unsere Partei ist Hoffnungsträgerin für sehr unterschiedliche Gruppen. Dies muss sich auch im Personalangebot der Kandidat*innen zur Bundestagswahl zeigen. Jede einseitige Ausrichtung – inhaltlich wie personell – kann einen Teil dieser potentiellen Wählerschaft vergraulen (was beim derzeitigen Umfrageniveau von 6 – 8 % zum Verlust der parlamentarischen Existenz führen könnte); unsere Wählergruppen sollten sich daher in personellen und programmatischen Angeboten angemessen repräsentiert fühlen.

Unsere Partei solidarisch versammeln zu können hinter unseren Zielen, ist die wichtigste Anforderung an alle, die sich als LINKE um ein Mandat bewerben.