Sozialistische Linke NRW zum Landesparteitag:
Der Landesparteitag der NRW-LINKEN hat sich am 26. und 27. Sep. 2020 in der Halle Münsterland für einen inhaltlichen und personellen „Neustart“ entschieden. Grundlage ist der mit großer Mehrheit angenommene Antrag „Für einen Neustart in der Partei“: 17 der 25 gewählten Landesvorstandsmitglieder – ein breites Bündnis aus Sozialistische Linke (SL), Bewegungslinke, Freiheit durch Sozialismus („FdS II“) und nicht Strömungsgebundenen – hatten ihn gemeinsam eingebracht.
Kernanliegen dieses Antrags ist es, in der „bisher schwersten Wirtschaftskrise der Bundesrepublik“ in Zeiten der Corona-Pandemie „die gemeinsamen politischen Überzeugungen nach vorne zu stellen, um strömungsübergreifend eng und vertrauensvoll zusammenzuarbeiten“. Für DIE LINKE gebe es „mehr als genug politische Gegner und keiner davon steht in der eigenen Partei“. Die SL NRW begrüßt diesen strömungsübergreifenden Neustart der LINKEN in NRW und wird ihn nach Kräften unterstützen.
Grußworte an den Landesparteitag des größten LINKEN-Landesverbandes überbrachten unter anderem die DGB-Landesvorsitzende Anja Weber und ver.di-Landesfachbereichsleiterin Gesundheits- und Sozialwesen Katharina Wesenick, die beide auf die gemeinsame Verantwortung von LINKEN und Gewerkschaften für eine neue Politik verwiesen. Deutlich hoben sie hervor, dass die Gewerkschaftsbewegung in NRW eine politisch handlungsfähige LINKE brauche.
Kritisch und klar ablehnend gesehen wurde dagegen der zweite Quasi-Leitantrag „Das kapitalistische System stellt sich in Frage – wir sollten es auch tun“, der aus den Reihen der Antikapitalistischen Linken (AKL) eingebracht worden war. Gefordert wurde dort unter anderem die „zügige Vergesellschaftung und Verstaatlichung von Erziehung und Bildung, Wohnen, Kultur und Sport“ sowie die „Befristung der parlamentarischen Mandate für LINKE-Mitglieder“. Die in der Satzung der LINKEN für Parteiämter vorgesehenen acht Jahre sollten auch als „Höchstgrenze für parlamentarische Mandate oder kommunale Wahlämter eingeführt werden.“ Dieser Antrag erntete Kopfschütteln und sogar die „junge welt“ bezeichnete diesen Antrag in ihrem Parteitagsbericht als teilweise „wirklichkeitsfremd“. Dieser Antrag wurde zu Recht bei einer Zustimmungsrate von nur 36 % abgelehnt.
Von der marxistisch-linkskeynesianischen Strömung Sozialistische Linke eingebracht wurde der Antrag: „Lastenausgleich zur Bewältigung der Folgen der Corona-Krise: Einschnitte unter der Schuldenbremse verhindern! Sozial-ökologischen Umbau ermöglichen! Die Superreichen sollen zahlen!“ Kernanliegen dieses Antrags ist die Forderung nach einem Strategiewechsel der Partei in Zeiten der Corona-Krise:
Die Auseinandersetzung um die Frage, wer für die Krise zahlen soll, solle auf die gesellschaftliche Gruppe zugespitzt werden, die mit ihrem Vermögen über außerordentliche wirtschaftliche und gesellschaftliche Macht verfüge und mit der sich fast niemand in der Bevölkerung identifizieren könne. Und es komme darauf an, diese Zuspitzung in einer breit angelegten Kampagne in der Öffentlichkeit zu verankern. Ab einem Vermögen von 50 Millionen Euro soll ein Lastenausgleich in Höhe von 50 Prozent durchgeführt werden. Das bringe mehr als 500 Milliarden Euro an Mehreinnahmen.
Einvernehmlich ergänzt worden war dieser Antrag schon im Vorfeld des Parteitages um eine Reihe von konkreten Kampagnenschritten hierzu für NRW, die ursprünglich aus einem Antrag der Bewegungslinken für eine Vermögensabgabe stammen. Der „Lastenausgleich“-Antrag wurde bei wenigen Gegenstimmen und Enthaltungen angenommen.
Als Landessprecherin neu gewählt wurde Nina Eumann (Mülheim), die sich als bislang einzige Vertreterin der AKL dem „Neustart“-Bündnis angeschlossen hatte. Als Landessprecher wiedergewählt wurde Christian Leye (FdS II, Duisburg). In seinem Facebook-Profil kommentiert er den „Neustart“-Erfolg mit den Worten: „Es geht nach vorne! Die letzten Jahre waren nicht immer einfach für unsere Partei. In Nordrhein-Westfalen haben wir jetzt unsere Reihen geschlossen, um als sozialistische Partei vorbereitet zu sein auf die härteste Wirtschaftskrise in der Geschichte der Bundesrepublik. Vor dem Wahlparteitag gab es nicht nur Fairplay. Das ist vorbei, wir gucken in die Zukunft.“
Als Stellvertretende Landessprecherinnen gewählt wurden Ulrike Eifler (Duisburg) und Britta Pietsch (Viersen). Auf der unquotierten Liste setzten sich Jules El-Khatib (Essen) und Hans Decruppe (Bergheim/Rhein-Erft) schon im ersten Wahlgang gegen drei Mitbewerber durch. Als Landesschatzmeister wiedergewählt wurde Ralf Fischer (Essen). Bei der Wahl zum Landesgeschäftsführer setzte sich Lukas Schön (Bonn) mit 65 % gegen den AKL-Kandidaten Fabian Stoffel durch. Als Jugendpolitische Sprecherin gewählt wurde Kira Sawilla (Münster).
Für den erweiterten Vorstand gewählt wurden auf der quotierten Liste in der Reihenfolge der Wahlergebnisse: Katja Heyn (Oer-Erkenschwick/Recklinghausen), Caro Butterwegge (Köln), Wiebke Köllner (Bochum), Dana Moriße (Düsseldorf), Martina Siehoff (Unna), Michaele Gincel-Reinhardt (Mettmann), Edith Bartelmus-Scholich (Krefeld), Christiane Tenbensel (Dortmund) und Tamara Helck (Düsseldorf). Auf der unquotierten Liste gewählt wurden Igor Gvozden (Aachen), Hanno von Raußendorf (Bonn), Fotis Matentzoglou (Castrop-Rauxel/Recklinghausen), Amid Rabieh (Bochum), Manuel Huff (Iserlohn/Märkischer Kreis), Frank Kemper (Ruppichteroth/Rhein-Sieg) und Julien Gribaa (Duisburg).
Die SL ist jetzt mit fünf Personen im Landesvorstand vertreten: Caro Butterwegge, Hans Decruppe, Ulrike Eifler, Frank Kemper und Christiane Tenbensel.
Bedauerlich ist, dass der ländliche Raum nach wie vor im Landesvorstand deutlich unterrepräsentiert bleibt. Ohne starke Kreisverbände in der Fläche wird der Landesverband aber nicht die notwendigen Erfolge erzielen können. Der neue Landesvorstand steht daher in der Pflicht, diese und andere seit langem beklagte Defizite – wie nicht ausreichend entwickelte Stadtteilarbeit und Verankerung in Betrieben und Gewerkschaften – zu beheben.
Ebenso wird es zur Aufgabe der neuen Mehrheit in Landesverband und Landesvorstand gehören, den konstruktiven Teilen der auf dem Landesparteitag unterlegenen Strömung AKL Angebote zur Beteiligung und der Mit- und Zusammenarbeit zu machen. Andernfalls steht der „Neustart“ nur auf dem Papier.
Kommentar von Günter Blocks: Alle Ziele erreicht
Dies erst mal vorweg: Herzlichen Dank an die Genoss*innen der Parteitagsorganisation: Es ist ihnen gelungen, trotz Corona hervorragende Arbeitsbedingungen herzustellen.
Ein Blick zurück: Zwei Jahre selbst blockierende Politik im Landesvorstand hatten den Landesverband weitestgehend gelähmt. So hatte es vier Monate gedauert, eine Gewerkschaftskonferenz für das Frühjahr 2020 letztlich doch noch gegen permanente Widerstände von Teilen der AKL durchzusetzen: Die Widerstände reichten von organisatorisch-technischen Bedenken zur Lage des Tagungsorts bis hin zu Vorbehalten, sich mit angeblichen „Arbeiterverrätern“ zusammenzusetzen.
Die Tagung wäre dennoch ein voller Erfolg geworden: Zahlreiche Gewerkschaftsvertreter*innen hatten ihre aktive Beteiligung zugesagt. Ganze Belegschaften von Stahlkochern, die um ihre Existenz kämpfen, wollten kommen. Dann kam leider Corona dazwischen.
Im Vorfeld des Landesparteitags war eine durchchoreografierte Eskalationsstrategie festzustellen: In einer Facebook-Kampagne mit Fragen an alle Kandidat*innen sollte herausgearbeitet werden, dass nur AKL-er*innen „gute LINKE“ sein können. Dann kamen die „junge welt“-Interviews von Inge Höger und Sefika Minte. Zuschlechterletzt folgte dann noch der Mitgliederrundbrief von Inge Höger, in dem alle Probleme der NRW-LINKEN bei ihrem Co-Vorsitzenden Christian Leye abgeladen werden sollten.
Der Blick nach vorn: Der Landesparteitag hat sich erfreulicherweise von all dem nicht provozieren lassen. Stattdessen wurde in ruhiger, sachorientierter Atmosphäre der Grundstock für einen erfolgreichen Neustart gelegt.
Das ist vollauf gelungen: Zunächst wurde das für DIE LINKE allseits enttäuschende Ergebnis der Kommunalwahl vom 13. September selbstkritisch ausgewertet und analysiert. Es war ein Austausch ohne Schuldzuweisungen und mit großer Sachlichkeit.
Der Antrag „Für einen Neustart in der Partei“ wurde mit großer Mehrheit angenommen. Von den „Neustart“-Kandidat*innen wurden – bis auf einen Beisitzerkandidaten – alle gewählt. Und es wurde der Versuchung widerstanden durchzuziehen. Das Einbeziehen aller Kräfte – auch die der langjährigen Mehrheitsströmung – in die weitere Arbeit ist wichtige Voraussetzung für einen wirklichen Neustart.
Am Schluss des Parteitags musste auch ein Konflikt mit der Antragsberatungskommission durchgefochten werden: Die wollte mit Blick auf die Zeitnot nur noch „kleine“ Anträge behandeln lassen. Damit wäre auch der SL-Antrag zum Lastenausgleich hinten runtergefallen. Das konnte verhindert werden – und so wurde auch dieser zentrale politisch-inhaltliche Beschluss doch noch zur Abstimmung gestellt und mit breiter Mehrheit gefasst.
Bild: © Günter Blocks