Erklärung der Sozialistischen Linken NRW zum Landesparteitag *)
Das Sondierungspapier und erste bekannt gewordene Ergebnisse aus den Koalitionsverhandlungen der selbsternannten „Fortschrittskoalition“ zeigen, welch fatalen Einfluss die FDP auf die Geschicke dieses Landes in den kommenden Jahren haben kann:
Kein Wort zur Vermögensteuer oder zur Erhöhung des Spitzensteuersatzes. Hartz IV wird in „Bürgergeld“ umbenannt und das Sanktionsregime fortgesetzt. Klimaziele müssen nicht mehr für die einzelnen Ministerien, sondern nur noch in einer mehrjährigen Gesamtrechnung erreicht werden. Trotz des katastrophalen Scheiterns der „Riesterrente“ soll die gesetzliche Rente für Kapitaldeckung geöffnet werden. Obendrein fordern FDP und Grüne, die Bahn zu zerschlagen. Und der Gesundheitsschutz der Beschäftigten soll durch weitere Öffnungen des Arbeitszeitgesetzes aufgeweicht werden.
All das sind deutliche Abstriche von den rosa-grünen Wahlversprechen. Abstriche, die es so wohl nicht gegeben hätte, wenn DIE LINKE bei der Bundestagswahl deutlich besser abgeschnitten und somit stärkeren Einfluss auf die Verhandlungskonstellation hätte nehmen können. Weitere Zugeständnisse an die FDP-Klientel können nur verhindert werden, wenn mehr öffentlicher Druck entfaltet wird und wenn zugleich die Landesregierungen im Bundesrat ein ausreichendes Gegengewicht bilden. DIE LINKE. NRW muss dafür kämpfen, dass sich Nordrhein-Westfalen als soziales und ökologisches Korrektiv zur Bundesebene aufstellt. Die fortschrittliche Wende, die im Bund ausgebremst wird, wollen wir in NRW entschieden anstoßen.
DIE LINKE. NRW muss sichtbar handlungsfähig werden. Sie muss diejenigen ansprechen und sammeln, die einen Politikwechsel in NRW erhoffen und benötigen. Wenn im einwohnerstärksten und industriell traditionsreichsten Bundesland eine soziale und ökologische Wende für gute Arbeit und Nachhaltigkeit angestoßen werden kann, wird das Vorbildcharakter weit über Rheinland, Ruhrgebiet und Westfalen hinaus haben.
Immer mehr Menschen haben das Gefühl, dass sie global und national (gefährdeter Frieden, Klima, Arbeitsplätze, bezahlbarer Wohnraum, Rente, Pflegenotstand und – fälschlicherweise – auch Staatsschulden) vor Jahrhundert-Herausforderungen stehen. Die Zukunft erscheint als ein riesiges Vakuum, das mal mit paradiesischen Erlösungs-Hoffnungen, immer öfter aber mit finsteren Untergangs-Fantasien gefüllt wird, die zur Resignation führen.
Die Bundestagswahl hat letztlich die Richtung offengelassen, wohin in diesen konkreten Lebensfragen das Land sich entwickelt: Das Mitte-Rechts-Lager (CDU/FDP rd. 35%) ist etwas schwächer als das Mitte-Links-Lager (SPD/Grüne rd. 40 %). Die völkisch-nationalistische Opposition hat sich stabilisiert. Die Bundestagswahl hat gezeigt, dass einerseits dem radikalen Neoliberalismus die Geschäftsgrundlage entzogen worden ist und das Vertrauen in die „Selbstheilungskräfte des Marktes“ schwindet. Andererseits sind die meisten Menschen derzeit nicht gewillt, sich auf das Abenteuer eines Bruchs mit dem Kapitalismus einzulassen.
Eine stärkere LINKE könnte und muss demnächst den Unterschied machen: Vier Landtagswahlen im nächsten Jahr eröffnen Perspektiven, zusammen mit den bestehenden vier Regierungen unter LINKER Beteiligung der jetzt im Bund entstehenden „Fortschrittskoalition“ wenigstens erste echte Fortschritte abzuringen. In diesen Landtagswahlen (Saarland, Schleswig-Holstein, NRW, Niedersachsen) geht es darum, weitere Zugeständnisse an die rechte Mitte zu verhindern und – unterstützt von außerparlamentarischem Druck – mit einer möglichst breiten Flankierung die Bundesregierung schrittweise nach links zu drängen. Zugleich gilt es, DIE LINKE in den vier Landesregierungen, an denen sie beteiligt ist, durch eigene Wahlerfolge zu stärken.
Die Mehrheit der Wählerschaft erkennt die großen Zukunftsprobleme. Aber die meisten haben keine Ideen, wie sich diese Jahrhundert-Herausforderungen bewältigen lassen. Daher ziehen sie sich zunehmend in ihr privates Schneckenhaus, in kleine Wirkungskreise mit Gleichgesinnten oder in politisches Sektierertum zurück. Anti-materialistische Bußpredigten werden gerade im Niedriglohnsektor jene 10 Millionen Menschen abschrecken, deren Einkommen kaum zum Leben reicht. Der abstrakte Hinweis auf die Notwendigkeit, die Eigentumsfrage zu stellen und den Kapitalismus beiseite zu schieben, lässt die Menschen mit ihren Alltagssorgen im Stich und hält die Klimakatastrophe nicht auf.
Zwar sehen viele Befragte gute Voraussetzungen für eine individuell erfolgreiche Gestaltung des Lebens in Deutschland (67 Prozent), aber die Hälfte der Bevölkerung fühlt sich in ihrer gegenwärtigen Lebenslage „im Stich gelassen“. Das Vertrauen in den sozialen Zusammenhalt erodiert zunehmend: 83 Prozent haben Angst vor einer gesellschaftlichen Spaltung. Umso wichtiger ist es, gegen diesen Trend eine gangbare Reformperspektive aufzuzeigen, statt den Menschen ein abschreckendes Schauspiel von Selbstzerfleischung, Missionseifer und Personalisierungen zu bieten.
DIE LINKE muss diejenige Kraft sein, die überzeugende, radikale und zugleich realistische politische Angebote zur Zukunftsgestaltung anbietet. DIE LINKE muss wieder Aufbruchsstimmung, Zukunftselan und Gestaltungswillen im Hier und Jetzt vermitteln. Den Menschen in NRW begegnet DIE LINKE mit konkreten Vorschlägen, ihre Situation zu verbessern und gleichwertige Lebensverhältnisse im Bundesland herzustellen. Die Angebote der LINKEN in der Landtagswahl sollten den Unterschied machen: mit einer fortschrittlichen und ökologischen Investitions- und Industriepolitik für zukunftsfähige Arbeitsplätze (incl. Rüstungs-Konversion), mit einer breiten Bildungsoffensive, mit Investitionen in barrierefreien, klimaneutralen sozialen Wohnungsbau, der stärker wächst als Wohnungen aus der Sozialbindung fallen, und mit dem Erhalt einer flächendeckenden Krankenhausversorgung. In NRW steht zudem eine Neuordnung für einen zuverlässigeren und erschwinglichen ÖPNV auf der Tagesordnung.
Unter den Bedingungen der Ampel im Bund wird dies nur möglich, wenn die Staatsfinanzen nicht als Belastung kommender Generationen, sondern als Gestaltung ihrer zukünftigen Lebensbedingungen begriffen werden: In NRW muss ein Altschuldenfonds die Investitions- und Handlungsfähigkeit der Städte und Gemeinden sichern. Die NRW-Bank und öffentliche Investitionsgesellschaften müssen als „Investitionshebel“ beweisen, dass öffentliches und privates Kapital für eine Klimastrategie mobilisiert werden kann, die diesen Namen verdient. Zugleich kann nur eine starke LINKE sicherstellen, dass Klimapolitik sozial gestaltet werden kann.
Wenn die These von FFF richtig ist, dass keine der Parteien bei der Bundestagswahl auf der Höhe der Probleme ist, müssen wir in unserem Landtagswahlprogramm alle zur Verfügung stehenden Mittel aufgreifen, um die Klimakatastrophe zu bekämpfen. Im Mittelpunkt der nächsten Landtagwahl auch in NRW wird die Klimafrage stehen. Die Wahlen werden entscheiden, ob die Politik sich dabei auf das Investitionskalkül der Einzelunternehmen verlässt oder ob in den kommenden 10 Jahren eine „bewusste und planmäßige Rückwirkung der Gesellschaft auf die naturwüchsige Gestalt ihres Produktionsprozesses“ (Marx) gelingen wird.
Ein solches Profil der LINKEN darf nicht durch einen Spiegelstrich-Katalog überlagert werden. Es braucht einen roten Faden in unserer Programmatik, es braucht ein klares Auftreten. Wir müssen kommunizieren, dass wir die Zukunft dieses Bundeslandes entschieden demokratisch und sozial gestalten wollen. Dazu brauchen wir Kandidatinnen und Kandidaten, die möglichst wirksam in breite Schichten der Lohnabhängigen und der kleinen Selbständigen, der Beschäftigten und der Erwerbslosen, der Alteingesessenen und der Immigrantinnen und Immigranten ausstrahlen.
So notwendig es ist, unseren Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfern klare Positionen zu allen landespolitischen Fragen an die Hand zu geben – entscheidend wird es sein, mit einem klaren sozialen, zukunftsorientierten Profil in den Wahlkampf zu ziehen.
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*) Einmütig beschlossen in der Mitgliederversammlung der SL NRW am 15.11.2021