Stellungnahme der Sozialistischen Linken NRW zum Bundesparteitag in Erfurt

Über die Bedeutung des Erfurter Parteitages der LINKEN angesichts ihrer fundamentalen Krise waren sich alle einig: So könne es nicht weitergehen, der Markenkern der Partei müsse wieder sichtbarer werden und vor allem seien die tiefen Gräben zwischen den unterschiedlichen Lagern zu überwinden. Diese hohen Erwartungen konnte der Parteitag zwar von Beginn an nicht erfüllen, aber er sollte ein Schritt in die richtige Richtung werden.

Dieser Schritt in die richtige Richtung blieb aber aus. Der Parteitag entschied sich inhaltlich und personell für ein „Weiter so“.

Personal

Durchgesetzt hat sich ein Machtbündnis aus Bewegungslinken und Reformern (insbesondere aus Thüringen und Berlin), an dessen Spitze Janine Wissler und Martin Schirdewan gewählt wurden. Trotz der schwachen Ergebnisse fiel die Entscheidung im Rahmen der Kampfkandidaturen eindeutig aus. Es dürfte aber kein Geheimnis sein, dass sich die Sozialistische Linke NRW Sören Pellmann als Vorsitzenden gewünscht hätte (und einige auch eher Heidi Reichinnek als Janine Wissler). Ein Vorsitzenden-Team aus Pellmann und Wissler hätte zwar keine Revolution gebracht, aber das Potential gehabt, die Partei konsolidieren zu können.

Pellmann – der auch von der Bundestagsfraktion unterstützt wurde – hätte die gute Arbeit der Fraktion besser mit der Partei synchronisieren können. Damit hätte man zumindest eine große Baustelle der Partei langfristig beheben können.

Die Parteitagsmehrheit hat aber auf Klarheit vor Einheit gesetzt. Das ist eine legitime Strategie, die jedoch risikoreich ist: Nur drei Abgeordnete müssten die Fraktion verlassen und die Linksfraktion im Bundestag ist Geschichte und mit ihr wahrscheinlich mittelfristig die gesamte Partei. Diese Strategie ist nicht nur brandgefährlich, sondern kann auch ihr Ziel nicht erfüllen. Die Klarheit (also eine deutlich reduzierte Pluralität der Strömungen im Parteivorstand) gab es auch schon vor dem Parteitag.

Die Partei hat unterschiedliche Machtzentren, die unterschiedliche Strategien verfolgen: Parteivorstand/Karl-Liebknecht-Haus, Bundestagsfraktion, Staatskanzlei Thüringen, Landesregierungen mit LINKEN-Beteiligungen und Landesvorstände. Die Klarheit nur im Parteivorstand herzustellen und dabei ein Auseinanderfallen der Partei zu riskieren, halten wir für fahrlässig. Ein pluraler Parteivorstand als Ausgangspunkt für einen Prozess zur Vereinheitlichung der politischen Gesamtstrategie wäre daher wohlmöglich ein besserer Weg gewesen.

Für NRW ist es mehr als nur bedauerlich, dass kein Vertreter des größten Landesverbands im Parteivorstand vertreten ist. Hier ist auch Selbstkritik erforderlich. Der Landesverband ist ohne Voten in die Vorstandswahlen gegangen. Die Stimmenzahl der großen NRW-Delegation blieb daher ungenutzt, da sie nicht gebündelt werden konnte.

Es ist ein Mythos, dass die Sozialistische Linke nicht im Parteivorstand vertreten ist, weil sie ihre Kandidaturen zurückgezogen hat. Der Vorstand wurde auf dem Parteitag radikal verkleinert, die Kandidatenlage wurde daraufhin entsprechend angepasst. Trotzdem traten auf der quotierten und der unquotierten Liste mehrere SL-Mitglieder an, aber keine dieser Kandidat:innen wurde gewählt. Die fehlende Vertretung der SL im Vorstand ist daher auf eine Entscheidung des Parteitages zurückzuführen, die wir selbstverständlich akzeptieren. In diesem Zusammenhang legen wir Wert darauf, dass die SL eine eigenständige Strömung ist, die nicht unter ein „Wagenknecht-Lager“ zusammengefasst werden kann.

Leitanträge

Nicht nur personell, sondern auch inhaltlich wurde ein „Weiter so“ beschlossen. Der Leitantrag L1 wurde mit wenigen Änderungen angenommen. Eine wirkliche Leitfunktion hat dieser Antrag nicht. Er ist eine Mischung aus programmatischen Floskeln und einem „Wünsch-dir-was-Programm“ ohne realistische Handlungsperspektive. So lag der Schwerpunkt offenbar im sozial-ökologischen Umbau. Wie sich die Bedingungen dafür jedoch im Rahmen der Regierungsbeteiligung der Grünen oder angesichts des Abflauens der FFF-Bewegung im Jahr 2022 verändert haben und was für Folgen dies für die Arbeit der Partei hat, wurde überhaupt nicht bearbeitet. Ziel des Leitantrages war daher nicht die Anleitungsfunktion, sondern die bloße Selbstvergewisserung.

Hier zeigt sich ein Hauptproblem der Partei: Sie ist nicht in der Lage, strategische Fragen selbstkritisch und solidarisch zu debattieren und daraus praktikable Handlungsstrategien für ein klareres inhaltliches Profil der LINKEN zu entwickeln.

Mit knapper Mehrheit wurde der Leitantrag L3 zu den friedenspolitischen Positionen des Parteivorstandes gegenüber dem Ersetzungsantrag angenommen. Letzterer wollte die Rolle der NATO für den Krieg deutlicher betonen und in den geostrategischen Kontext einbetten. Außerdem sollte eine klare Ablehnung von Sanktionen vereinbart werden. In beiden Anträgen wurden Waffenlieferungen abgelehnt.

Der Parteitag hat sich umfassend mit den Sexismusvorwürfen in der Partei befasst und ein umfassendes Maßnahmenpaket beschlossen. Ein satzungsändernder Antrag, der den Parteivorstand ermächtigen sollte, präventiv – vor Klärung des Sachverhaltes – Parteistrafen zu verhängen, erreichte nicht das notwendige Quorum für die Satzungsänderung.

Problematisch und mit unserem Verständnis von emanzipativer Bildung nicht vereinbar finden wir den Beschluss für verbindliche Anti-Sexismus-Seminare für Funktionsträger der Partei. Wir halten die Seminare für sinnvoll, glauben aber nicht daran, dass Zwang tatsächlich zu Lerneffekten führt.

Fazit

Der erhoffte Aufbruch ging von diesem Parteitag nicht aus. Er lässt viele Mitglieder mit dem Gefühl der Ernüchterung und Entfremdung von der Partei zurück. Wir können die Frustration nachvollziehen, wollen aber weiterhin alle dazu einladen, in dieser Partei für eine Veränderung zu kämpfen.

Insgesamt wünschen wir uns weniger Selbstbeschäftigung, die der Parteitag ausgiebig zelebriert hat. DIE LINKE wird aktuell mehr denn je gebraucht mit einem klaren Profil für mehr soziale Gerechtigkeit und einer starken politischen Parteinahme für die Interessen der arbeitenden, ausgegrenzten oder nicht-erwerbsfähigen Mehrheit der Menschen in diesem Land, unabhängig des Geschlechts oder einer Migrationsgeschichte. Dabei sind Solidarität und Pluralität – auch vertreten durch innerparteiliche Zusammenschlüsse – unsere Stärke, solange solidarisch-konstruktiv und mit Respekt um das beste Ergebnis gerungen wird.

Irritiert sind wir über die von der Bewegungslinken NRW verbreitete Auswertung zum Parteitag. Ein Großteil dieser Auswertung arbeitet sich an einem konstruierten Wagenknecht-Lager ab und stellt unhaltbare Behauptungen und Denunziationen auf. Ganze Teile der Partei als „sozial-konservativ“ zu bezeichnen und ihnen damit das „Linkssein“ abzusprechen, schockiert uns. Diese Art der Auseinandersetzung ist mühsam und nervt viele Mitglieder der Partei.

Wir wünschen uns als Lehre aus den vergangenen Auseinandersetzungen zukünftig ein faires und respektvolles Streiten um die richtigen Positionen mit dem Ziel, einheitlich zu handeln. In diesem Sinne werden wir uns auch weiterhin als marxistische und gewerkschaftsorientierte Strömung einbringen, die in der Tradition der sozialistischen Arbeiter:innen- und Friedensbewegung steht und laden alle Interessierten ein, in der Partei und in der Sozialistischen Linken auch weiterhin dafür zu streiten.