Die Partei DIE LINKE steckt in einer existenziellen Krise. Deswegen haben wir gemeinsam den Aufruf „Für eine populäre Linke!“ gestartet. Es ging darum, im Vorfeld des Parteitags der LINKE Ende Juni Einfluss auf die zentralen Weichenstellungen, die in Erfurt zu treffen waren, zu nehmen. Mehr als 6.400 Unterzeichnerinnen und Unterzeichner haben diesen Appell unterschrieben, der aus der großen Sorge um die Zukunft der Partei entstanden ist.
Gemeinsam haben wir gefordert, dass DIE LINKE endlich wieder am Alltag der Menschen, an ihren Sorgen und Problemen anknüpft. Und dass in ihren Botschaften und der praktisch-strategischen Ausrichtung die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung Priorität haben. Der Aufruf sprach sich für eine konstruktive Zusammenarbeit aller Teile der Partei aus. Es ging darum, die Abwärtsspirale zu durchbrechen, zu größerer Geschlossenheit zurückzufinden und uns als LINKE wieder erfolgreich zu machen. In dieser Mail wollen wir aus unserer Sicht die Entscheidungen des Parteitags bewerten und einen Ausblick geben, was in der nächsten Zeit ansteht.
Um es kurz zusammenzufassen: Das Aufbruchssignal, das wir uns vom Erfurter Parteitag erhofft hatten, ist ausgeblieben. So bitter es ist – wir müssen feststellen: Die Partei ist zum einen real gespalten. Und zum anderen ist selbst die derzeitige dramatische Lage der Partei offenbar kein Anlass, von der Strategie abzuweichen, die uns in diese Situation gebracht hat. Sowohl die Redebeiträge führender Genossinnen und Genossen als auch die Entscheidungen des Parteitags bestätigten inhaltlich-strategisch als auch personell das unbeirrte Festhalten am „Weiter so“. Selbstverständlich akzeptieren wir demokratische Entscheidungen. Die Zweifel darüber, wie die Zukunft der Partei auf diese Weise gelingen kann, sind damit aber nicht kleiner geworden.
Wir geben jedoch nicht klein bei. Eine Linke, die mutig und populär an den Alltagssorgen der Bevölkerung ansetzt, wird angesichts der explodierenden Preise, die bis hinein in die Mittelschicht vermutlich zu finanziellen Katastrophen führen wird, dringend gebraucht. Es ist unsere Pflicht, uns vor die Menschen zu stellen und Protest mit zu organisieren. Und der Bundesregierung und ihrer für Europa und den globalen Süden verheerenden Sanktionspolitik klar zu widersprechen. Das ist das politische Angebot und die Leitidee, die wir aktuell als populären linken Kurs verstehen.
Unten findet Ihr eine detailliertere Bewertung einzelner Punkte des Parteitages und mehr zum Ausblick. Im späten Herbst soll es dazu passend eine Konferenz geben, auf der wir die u.a. über den Aufruf angestoßene Debatte weiterführen möchten. Sobald es hierzu mehr Informationen gibt, wann was geplant ist und wie Ihr dabei helfen könnt, bekommt Ihr über diesen Weg Bescheid.
Solidarische und kämpferische Grüße und einen schönen Sommer wünschen für die Initiatorinnen und Initiatoren des Aufrufs:
Christian Leye, Friederike Benda, Ralf Krämer, Amid Rabieh, Constantin Braun
Solidarische und kämpferische Grüße und einen schönen Sommer wünschen für die Initiatorinnen und Initiatoren des Aufrufs:
Christian Leye, Friederike Benda, Ralf Krämer, Amid Rabieh, Constantin Braun
BEWERTUNG EINZELNER PUNKTE DES PARTEITAGES UND AUSBLICK
Parteivorstand
Die wichtigste Frage des Parteitages war die Frage der Wahl des neuen Parteivorstandes (PV). In den Wochen und Monaten vor dem Parteitag hatte es von Seiten einiger Erstunterzeichnerinnen und Erstunterzeichner des Aufrufs „Für eine populäre Linke“ Gesprächsangebote gegeben, um eine für alle Teile der Partei akzeptable personelle Lösung zu finden. Doch die Strömung Bewegungslinke war dazu nicht bereit. Auch während des Parteitages hat es leider keinerlei ernsthafte Versuche zur Einbindung mit „unseren“ Kandidierenden gegeben hat. Statt alle Teile der Partei in dieser existentiellen Krise zusammenzubringen, sind nun ausschließlich Bewegungslinke sowie diejenigen Reformerinnen und Reformer, die unseren Aufruf leider nicht unterstützen, im neuen Parteivorstand vertreten. Genossinnen und Genossen, die für den Kurs des Aufrufs stehen, sind nicht in den PV gewählt worden. Einer konstruktiven Zusammenarbeit der verschiedenen Teile der Partei wurde somit leider eine Absage erteilt. Wir bedauern aus diesem Grund besonders, dass sich der Parteitag gegen einen (mindestens teilweisen) Neustart mit Heidi Reichinneck und/oder Sören Pellmann an der Spitze entschieden hat. Beide hatten im Vorfeld versprochen, integrativ wirken und alle Teile der Partei einbeziehen zu wollen.
Positionen und Debatten
Wie sollen wir wieder auf die Beine kommen, wenn wir die wichtigsten Themen kaum oder wenig sachlich diskutieren? Konkrete Debatten zur drohenden Verarmung breiter Bevölkerungsschichten oder den exorbitanten Energiepreisen spielten auf dem Parteitag aber kaum eine Rolle. In der Friedensfrage und dem Verhalten bezüglich des Ukraine-Krieges herrschte eine teilweise problematische und einschüchternde Stimmung im Saal. Statt sachlicher Diskussionen gab es vielfach moralisierende und verletzende Beiträge. Die Parteizentrale lud zudem nur solche russischen und ukrainischen Gäste ein, die u.a. der Position des Parteiprogramms gegen Waffenlieferungen in Kriegsgebiete komplett widersprachen, ohne dass es darüber später eine Debatte gab. Es ist ein Ärgernis, dass so das wichtige LINKE-Alleinstellungsmerkmal gegen Waffenlieferungen, das auch relevante Unterstützung in der Bevölkerung genießt, weiter ausgehöhlt wurde.
Hintergrund und Ausblick
Ein Grund für die Schwäche der LINKEN dürfte sein, dass es vielen an Angriffslust gegenüber der Bundesregierung fehlt. Zwar wollen weite Teile der Partei auf dem Papier eine Klassenpolitik betreiben (also eine Politik, die sich an den Interessen der Bevölkerungsmehrheit ausrichtet, wie wir es in unserem Aufruf formulieren), doch die Bevölkerung nimmt DIE LINKE anders wahr. Sie ist zu mutlos und in ihren Forderungen uneindeutig. Die schlechten Wahlergebnisse sind Beleg dafür. Ein aktuelles Beispiel für die unklare Position der Partei ist, dass die westlichen Wirtschaftssanktionen gegen Russland, die Europa erheblich mehr schaden als Russland (und Russland z.T. sogar nützen), nicht von allen offensiv kritisiert werden. Obwohl mehrere Umfragen (vom Institut Forsa und vom Institut INSA) mittlerweile zeigen, dass die Mehrheit der Bevölkerung das genauso sieht. Diese Sanktionen, die ökologisch extrem schlecht und einer der Hauptgründe für die gestiegenen Energiepreise sind, drohen weite Teile der Bevölkerung bis hinein in die Mittelschicht finanziell hart zu treffen. Als echte Alternative zur Regierung wird DIE LINKE so derzeit kaum wahrgenommen.
Es scheint, als hätten viele LINKE verlernt, in Widersprüchen zu denken: Der russische Krieg in der Ukraine ist furchtbar und klar zu verurteilen. Aber die Reaktion der EU, darauf mit einem Wirtschaftskrieg mittels Sanktionen zu antworten, die vor allem die europäische Bevölkerung und Wirtschaft sowie den globalen Süden treffen, ist falsch. Wie Kurt Tucholsky schon vor etwa hundert Jahren schrieb, ist nichts schwieriger „als sich in offenem Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein.“ Linke müssen sich trauen, den herrschenden Meinungen auch mal klar zu widersprechen. Eine linke Partei, die gerade noch das wagt zu sagen, was große Medienkonzerne und Twitter-Blasen gerade noch akzeptieren, hat keinen Mut. Und folglich wohl auch keine Zukunft als linke Partei.
In den vergangenen Monaten sind viele Genossinnen und Genossen, meist nach langjähriger Mitgliedschaft, aus der Partei DIE LINKE ausgetreten. Darunter viele, die die Lage ähnlich sehen wie wir. Der Parteitag hat diesen Prozess nicht gestoppt, eher im Gegenteil. Wir werden jedoch nicht aufgeben und für eine populäre mutige Politik, die an den Interessen der Mehrheit ausgerichtet ist, kämpfen. Die gesellschaftlichen Umstände schreien förmlich danach. Wir finden es deshalb wichtig, dass wir weiter in Kontakt bleiben und gemeinsam diskutieren, wie wir die Lage und die weiteren Aussichten nun beurteilen.
Wir möchten alle ermuntern, die dies noch nicht getan haben, den Aufruf „Für eine populäre Linke“ zu unterzeichnen. Gebt das gerne auch an interessierte Bekannte weiter! Bis dahin macht es Sinn, dass sich viele Linke in ihren Regionen dafür engagieren, dass soziale Proteste gegen die hohen Preise und die Regierungspolitik organisiert werden.
Web: https://populaere-linke.de/
E-Mail: kontakt@populaere-linke.de