Ohne die WASG NRW hätte es DIE LINKE nie gegeben!
- „Die WASG wollte nie mit der PDS kooperieren“, behauptete unser damaliger Parteivorsitzender Bernd Riexinger anlässlich des 10-jährigen Bestehens der LINKEN. NRW, „jedenfalls nicht vor der vorzeitig von Schröder herbeigeführten Bundestagswahl 2005“. Das ist so nicht ganz richtig.
So hieß es im Aufruf der „Wahlalternative 2006“ vom März 2004 – eines der beiden Vorläufer der WASG – zwar:
„Die PDS ist nicht in der Lage, den überwiegenden Teil des Potentials für eine wahlpolitische Alternative auszuschöpfen. Für einen Großteil des Potentials ehemals sozialdemokratischer, grüner oder sonstwie linker WählerInnen und sozial enttäuschter NichtwählerInnen kommt sie nicht in Frage.“ In den letzten Jahren habe sie sich durch ihre Regierungsbeteiligung in Berlin zusätzlich desavouiert.
Zugleich wurde aber schon in diesem ersten Gründungsdokument explizit die Notwendigkeit benannt, längerfristig auch die PDS als Bestandteil einer solchen Wahlalternative zu gewinnen.
Dass auch von Seiten der PDS die Gründung der WASG verständlicherweise zunächst misstrauisch beäugt wurde, spiegelt sich nicht zuletzt auch in der Aussage des Vertreters des Parteivorstandes, Wolfgang Gehrcke, bei der PDS-Landesmitgliederversammlung im Herbst 2004 wider: „Wir werfen die WASG bei der Landtagswahl in NRW in den Rhein.“
Gehrcke war dann allerdings später ein entschiedener Befürworter des gemeinsamen Wahlantritts und der Parteifusion. - Entscheidend für die vorgezogene Bundestags-Neuwahl (im September 2005 statt regulär 2006) war der Erfolg der WASG bei der Landtagswahl in NRW und die Furcht von Schröder und Müntefering, WASG und PDS könnten bis zum regulären Wahltermin eine gemeinsame Basis gefunden haben:
Seit 2002 saß die PDS nur noch mit 2 Abgeordneten im Bundestag, ihr Schicksal schien als Regionalpartei Ost besiegelt. Die WASG war nach dem NRW-Landtagswahlkampf de facto pleite. Getrennt hätten beide linken Parteien keine Chance gehabt.
Deshalb verkündeten Schröder und Müntefering direkt am Wahlabend der Landtagswahl im Mai 2005 die Auflösung des Bundestages und baldige Neuwahlen.
Und deshalb trat Oskar Lafontaine direkt am Tag nach der NRW-Landtagswahl aus der SPD aus und startete gemeinsam mit Gregor Gysi den erfolgreichen Versuch, beide Parteien kurzfristig zusammenzuführen. - Es war ein langer, harter Kampf bis zum WASG-Landtagswahl-Antritt in NRW im Mai 2005:
- Im März 2004 hatten sich fast zeitgleich und unabhängig voneinander die „Wahlalternative 2006“ und die „Initiative Arbeit und soziale Gerechtigkeit“ gegründet, um dem neoliberalen „Reform“kurs von SPD und Grünen und insbesondere der „Agenda 2010“ entgegenzutreten.
Sie fanden sehr schnell zueiander und forcierten den Organisationsaufbau gemeinsam. Bis zum Juni 2004 hatten sich 10.000 Interessent:innen bei der Geschäftsstelle in Fürth gemeldet. Die mussten aber erst einmal mühsam zum Organisationsaufbau vor Ort zusammengeführt werden. - In NRW gab es ein erstes Treffen der Interessent:innen Ende April 2004, bei der auch die Provisorische Landeskoordination gewählt wurde. Ihr gehörten an:
- Hüseyin Aydin
- Heinz Hillebrand
- Irina Neszeri (bis zu ihrem Wechsel in die Bundesgeschäftsstelle nach Fürth im Sommer 2004)
- Bernhard Sander
- und ab Juli 2004 als kooptiertes Mitglied: Günter Blocks
- Ohne Hüseyins unermüdliches Engagement wäre es nicht möglich gewesen, den Organisationsaufbau vor Ort mit Gründung der Regionalgruppen so schnell und erfolgreich voranzutreiben.
- Die Gründer der WASG hatten einen Wahlantritt erst zur Bundestagswahl 2006 als Ziel vorgegeben: Nur auf Bundesebene ließe sich die „Agenda 2010“ erfolgversprechend angreifen, deshalb vorher keine Antritte zu Landtagswahlen – so ihre berechtigte Argumentation.
- Die Dynamik der Mitgliederentwicklung in NRW (bis zur Landesmitgliederversammlung im Oktober 2004: rund 2.000 Mitglieder) und deren Erwartungen auf eine baldige offensive Auseinandersetzung mit der SPD/Grünen-Agenda wären aber zusammengebrochen, wenn wir nicht schon zur Landtagswahl 2005 angetreten wären.
Deshalb strebte die Provisorische Landeskoordination nach längeren internen kontroversen Diskussionen seit September 2004 gemeinsam den Wahlantritt zur Landtagswahl im Mai 2005 an.
Dabei war es der Provisorischen Landeskoordination völlig klar, dass ein sofortiger Einzug in den Landtag illusorisch war. Ziel war es vielmehr, mit einem guten Ergebnis die Weichen für einen erfolgreichen Antritt zur Bundestagswahl zu stellen. Zielmarke für die Landtagswahl war deshalb ein Ergebnis um die 3 %. - Hüseyin Aydin, der zugleich auch Mitglied des Bundesvorstands war, konnte es nach langen harten Auseinandersetzungen im Bundesvorstand durchsetzen, dass auf der Bundesdelegiertenkonferenz im November 2004 in Nürnberg ergebnisoffen über den Wahlantritt in NRW beraten würde.
Auch in Nürnberg blieb es lange fraglich, ob wir uns durchsetzen würden. Aber schließlich stimmte die erste WASG-Bundesdelegiertenkonferenz dem Wahlantritt in NRW mit großer Mehrheit zu. - Um den Wahlantritt in NRW tatsächlich noch realisieren zu können, musste unter extremem Zeitdruck die Konstituierung der WASG als Partei erfolgen: mit Gründungsparteitagen auf Bundesebene und Landesebene kurz hintereinander im Januar 2005.
- Eine weitestgehend unerfahrene Organisation musste dann alle Voraussetzungen zum Wahlantritt stemmen:
- Joachim Bischoff und Axel Troost unterstützten dabei kontinuierlich den Landesverband: auch mit der Sicherstellung der notwendigen Finanzen durch Kredite engagierter Genoss:innen.
- In allen 128 Wahlkreisen mussten Kandidat:innen aufgestellt und Unterschriften für deren Kandidatur-Berechtigung gesammelt werden: Nach damaligem Wahlrecht konnten wir für die Landesliste nur dort Stimmen erhalten, wo wir auch eine/n Direktkandidatin/en aufstellen konnten.
Für schwache KVs mussten Unterstützer:innen aus anderen KVs gefunden werden, um die nötigen Unterschriften zu sammeln – in schwarzen Wahlkreisen nicht unbedingt eine vergnügungssteuerpflichtige Aufgabe.
Die Sicherstellung der Kandidatur in allen Wahlkreisen gehörte damals zu meinen Aufgaben. - Wir haben es dann tatsächlich geschafft, in allen Wahlkreisen anzutreten, und ein Ergebnis von 2,2 % erreicht. Die PDS landete bei 0,9 %.
- Im März 2004 hatten sich fast zeitgleich und unabhängig voneinander die „Wahlalternative 2006“ und die „Initiative Arbeit und soziale Gerechtigkeit“ gegründet, um dem neoliberalen „Reform“kurs von SPD und Grünen und insbesondere der „Agenda 2010“ entgegenzutreten.
- Auch wenn die Aussage „Die WASG wollte nie mit der PDS kooperieren“ – wie oben beschrieben – so nicht wirklich zutreffend ist, mussten heftigste Widerstände gegen die Parteifusion zur LINKEN überwunden werden.
Während der gemeinsame Wahlantritt zur Bundestagswahl 2005 alleine schon wegen des ungeheuren Zeitdrucks nur auf verhältnismäßig geringen Widerstand stieß, formierten sich gegen den Fusionsprozess zunehmend mehr auch organisierte Widerstände, deren Zentrum vor allem auch in NRW lag:- Der „Leverkusener Kreis“ gründete sich im Juni 2005 und bekämpfte schon den gemeinsamen Wahlantritt: Dieser Gruppe war jede sozialistische Orientierung zuwider, ihr Ziel war eine reine Sozialstaatspartei. Wirksam wurde der eher rechts orientierte „Leverkusener Kreis“ erst im Hufeisen-Bündnis mit dem
- „Netzwerk Linke Opposition“: Das von Edith Bartelmus-Scholich angeführte linksradikale NLO kritisierte die „bedingungslose“ Fusion und machte „rote Linien“ zum Fusionskriterium, wie beispielsweise „keine Beteiligung an Regierungen des Sozialabbaus“. Letztenendes zielten beide Strömungen auf die Verhinderung der Fusion von WASG und PDS.
- Ähnlich wie das NLO argumentierte auch die „Antikapitalistische Linke“, die zwar die Fusion nicht grundsätzlich in Frage stellen wollte, aber eine Selbstauflösung von WASG und PDS sowie eine völlige organisatorische Neugründung forderte.
- Das Gegenstück zu den Fusionsgegnern und -kritikern war auf PDS-Seite eine Vorläufergruppe des „Forums demokratischer Sozialismus“ aus dem Reformerlager, die ebenfalls Bedingungen formulierte, die den Zusammenschluss der beiden Parteien ernsthaft gefährdete.
- Als Reaktion auf die Formierung dieser Fusions-kritischen bis -feindlichen Strömungen bildete sich dann im August 2006 die „Sozialistische Linke“, die konsequent für das Vorantreiben des Fusionsprozesses eintrat.
Auf den WASG-Bundesparteitagen in Ludwigshafen und Geseke 2006 erreichte die „Sozialistische Linke“ eine Mehrheit im WASG-Parteivorstand und konnte vor allem auch Mehrheitsbeschlüsse für die konsequente Fortführung des Fusionsprozesses erzielen.
Punkt 4. dieser Anmerkungen ist nur eine kurze Skizze: Die bundesweite Entwicklung der WASG ist ja ohnehin einigermaßen gut dokumentiert.
Anspruch auf Vollständigkeit erheben aber natürlich auch die Anmerkungen unter Punkt 1. bis 3. nicht. Sie sollen aber zumindest einen ersten Eindruck auch für diejenigen vermitteln, die damals noch nicht mit dabei waren, sich aber für die Geschichte ihrer Partei interessieren.
Dies könnte umso mehr von Bedeutung sein, als jetzt selbst ernannte „Progressive Linke“ vom rechten Parteiflügel zur Spaltung der LINKEN auffordern. In deren Aufruf heißt es u.a.: »Die Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit der Linken erfordert, die Koexistenz mit dem Linkskonservatismus in der Partei zu beenden.« Mit „Linkskonservatismus“ gemeint sind offensichtlich „Aufstehen“, aber auch marxistische Kräfte wie Sozialistische Linke und Kommunistische Plattform.
Aus: https://www.jungewelt.de/artikel/436676.niedergang-der-linkspartei-ende-der-koexistenz.html
Ähnliche Äußerungen kommen auch von „Bewegungslinken“ – wörtlich fordert Luigi Pantisano: „Es sollte lieber früher als später eine Trennung dieser beiden Lager vollzogen werden. Der Parteivorstand hat die Aufgabe und die Verantwortung zu handeln …. Alle rechtlichen und organisatorischen Möglichkeiten sollten nun geprüft werden. Es darf dabei keine Tabus geben.“
Umso wichtiger wäre es, wenn der Landesparteitag der LINKEN. NRW Ende Oktober ein klares Stopp-Signal gegen alle Spaltungsversuche setzen würde.