„Kommunal verankern, Landtagswahl gewinnen“

Der Anfang war ein echter Knaller

Manche Veranstaltungen werden im übertragenden Sinne „mit einem Knall“ eröffnet. Beim Strategieratschlag, zu dem die Sozialistische Linke NRW am Sonntag, 23. November eingeladen hatte, war der Knall jedoch sprichwörtlich. Während Mitglieder des SL-Landessprecher:innenrats gerade die Technik für die hybride Sitzung einrichteten, knallte es am Eingangsbereich des Heinz Renner-Hauses. In dem kleinen Gebäude, das nach dem kommunistischen Nachkriegsbürgermeister benannt ist, hat die Essener Linke ihren Sitz. Jemand hatte einen Backstein durch die Scheibe geworfen, Eingangsbereich und Treppe waren von kleinen Glasscherben und -splittern übersäht. Streifen- und Kriminalpolizei sollten später deswegen noch vorbeikommen.

Davon ließen sich jedoch weder die Organisator:innen, noch die vielen Teilnehmenden an jenem Sonntag abschrecken. Es herrschte eine freundliche, neugierige und ausgelassene Atmosphäre. Zum Auftakt referierte der WASG- und SL-Gründer, „Sozialismus“-Redakteur und langjährige Wuppertaler Stadtverordnete Bernhard Sander dazu, wie sich die NRW-Linke nach der Kommunalwahl 2025 bis zu Landtagswahl in 2027 fit machen müsse.

(Wie) kommunal regieren mit fortschrittlichen Mehrheiten?

Im ersten Workshop berichtete Jules Schenkel von ihren Erfahrungen aus der vergangenen Wahlperiode im Bonner Stadtrat, Dort hatte sich Die Linke mit Grünen, SPD und Volt Teil an einer progressiven „Gestaltungskoalition“ unter der jüngst nicht wiedergewählten grünen Oberbürgermeisterin Katja Dörner beteiligt.Schenkel hob hervor, dass die Linke in Bonn trotz schwieriger Rahmenbedingungen konkrete politische Erfolge erzielen konnte – etwa den Erhalt des Tierheims, das aufgrund finanzieller Engpässe zeitweise bedroht war. Besonderes Augenmerk lag auf den Koalitionsverhandlungen, in denen die Linke konsequent den Grundsatz „Inhalte vor Posten“verfolgte. Strittige Punkte wurden nicht über symbolische Ämter verhandelt, sondern durch politische Klarheit und taktisches Vorgehen durchgesetzt. Der Verzicht auf repräsentative Funktionen zugunsten wichtiger Inhalte erwies sich als strategisch erfolgreich. Ein zentrales Thema, so Schenkel, war die angespannte Haushaltslage der Stadt. Alle Koalitionspartner teilten das Ziel, eine Haushaltssicherung unbedingt zu vermeiden – ein Anspruch, der bis in die Linke hineinwirkte. Auch sah sich die Linke gefordert, konstruktive Einsparvorschläge zu machen, ohne zentrale soziale Projekte preiszugeben.

Bei besonders kontroversen Fragen nutzte die Fraktion einen pragmatischen Weg: Wenn sicher war, dass die Koalition gemeinsam mit anderen Parteien ohnehin Mehrheiten erreichen würde, konnte sich die Linke selbstständig positionieren und abweichend abstimmen, ohne die Koalitionsstabilität zu gefährden. So blieb die Partei programmatisch klar und gleichzeitig „regierungsfähig“. Eine Herausforderung, die Schenkel offen ansprach, betraf die Schnittstelle zwischen Fraktion und Partei. Besonders sichtbar wurde dies bei der Frage, ob und wie es eine Wahlempfehlung der Linken für die Stichwahl zur Oberbürgermeisterwahl geben sollte. Hier zeigte sich, wie wichtig enge Kommunikation und gegenseitiges Vertrauen in einer Regierungsbeteiligung sind.

Das Geheimnis des AfD-Erfolgs und wie ihr zu begegnen ist

Isabelle Vandre aus Brandenburg referierte zum Thema „Wie in kommunalen Gremien mit erstarkter AfD umgehen?“. Die frühere Landtagsabgeordnete, Potsdamer Stadtverordnete und heutige Bundestagsabgeordnete der Linken erklärte in ihrem Referat zunächst, warum die AfD keine „normale“, sondern eine extrem rechte Partei mit rassistischen Strömungen und Anschlüssen in rechtsterroristische Milieus sei, was ihre Andersbehandlung begründe. Vandre stellte eine Batterie von Vorgehensweisen vor, mit denen ergänzend zur „Brandmauer“ der AfD begegnet werden solle, und gab anhand von zehn Punkten konkrete Hinweise zum Umgang mit AfD-Mitgliedern in kommunalen Gremien, die sowohl die Arbeit in den Gremien selbst, als auch Absprachen zwischen und innerhalb der Fraktionen betreffen.

Richard Detje, früherer Redakteur der Zeitschrift Sozialsmus und Mitarbeiter von WISSENTransfer, referierte über den aufhaltsamen Aufstieg der AfD. Er zeigte, dass die AfD von den Krisenerfahrungen und sozialen Verwerfungen profitiert, weil diese insbesondere bei Menschen, die sich selbst zur Gruppe der Arbeiter zählen zu Verunsicherung führt. So ist die Zahl der AfD Wähler unter den Arbeitern und selbst den Gewerkschaftsmitgliedern überproportional hoch und es gab starke Wählerwanderungen auch von der Linken zur AfD. AfD-Wähler, so Detje, halten an traditionellen Werten fest und betonen den Leistungsgedanken, was sie kulturell von der Linken entfremdet. Der Aufstieg der AfD lässt erwarten, dass es schon bei den nächsten Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern Mehrheiten jenseits der AfD nur in einer ganz großen Koalition gibt, die alle demokratischen Parteien umfasst.

Gleichzeitig spiele das zentrale Thema der AfD, nämlich Migration, in betrieblichen Auseinandersetzungen so gut wie keine Rolle. Die Solidarität in der Arbeit und in Arbeitskämpfen überwindet geografische Herkunft oder ethnische Unterschiede. Skandale, Korruption und Widersprüche schadeten der AfD allerdings nicht. Von Kriegspropaganda und neuer Repression profitiert sie, aber Widerstand wirkt, wie die Proteste gegen die Remigrationspläne zeigten. Was stärker berücksichtigt werden müsse, seien die Erfahrungen in betrieblichen Auseinandersetzungen. Detje fordert deshalb:Das WIR der Lohnabhängigen in Betrieb, Arbeitswelt und Zivilgesellschaft zu betonen; Selbstwirksamkeits- und kollektive Mobilisierungserfahrungen – gegen Unterordnung und Ohnmacht zu setzen; Wirtschaftsdemokratischer Strategieansätze zu aktualisieren – statt Militarisierung als Rettungsanker der Industriepolitik zu verstehen.

Bericht: Wie wirksam opponieren in Räten und Kreistagen?

Im zweiten kommunalpolitischen Workshop berichteten Utz Kowalewski (Dortmund) und Manuel Huff (Iserlohn) über ihre Erfahrungen aus der kommunalen Oppositionsarbeit der vergangenen Jahre. Beide Referenten betonten, dass Verankerung in der Stadtgesellschaft und kontinuierliche Vernetzungsarbeit zentrale Voraussetzungen für eine starke linke Opposition seien. Ohne den direkten Draht zu Initiativen, Gewerkschaften, Bewegungen und betroffenen Bürger*innen verliere Ratsarbeit schnell an Wirkung.

Manuel Huff hob besonders hervor, wie entscheidend gründliche Recherche und fachlich saubere Auseinandersetzung sind. Opposition bedeute nicht nur Kritik, sondern inhaltliche Tiefe: Zahlen kennen, Verwaltungsvorlagen durchdringen, Widersprüche aufdecken. Zudem brauche wirksame Opposition einen langen Atem – viele Veränderungen ließen sich nicht kurzfristig erzwingen, sondern nur durch beharrliche Arbeit über Jahre hinweg. Utz Kowalewski unterstrich die Rolle der Opposition als Ansprechpartnerin für die Bürger*innen. Anfragen, Gespräche und Beteiligung vor Ort seien nicht bloß Zusatzaufgaben, sondern ein wesentlicher Teil politischer Wirksamkeit. Ein Schwerpunkt liege auf hartnäckiger Aufklärungsarbeit: durch Anfragen an die Verwaltung, öffentliche Kommunikation und das Offenlegen von Missständen könne eine Opposition politischen Druck erzeugen – auch ohne formale Mehrheiten. Beide machten deutlich: Erfolgreiche Oppositionsarbeit entsteht aus einer Kombination von fachlicher Stärke, öffentlicher Sichtbarkeit, Ausdauer und gesellschaftlicher Einbettung.

Abschluss: Kurs setzen auf den Landtag in 2026

Ungeahnte Einigkeit herrschte auf dem Abschlusspodium, das Jesper Herking aus Bielefeld moderierte. Bundestagsabgeordneter und Linke NRW-Landessprecher Sascha H. Wagner, Wirtschaftshistorikerin Dana Morisse aus dem SL-Landessprecher:innenrat und der Kreissprecher und neu gewählte Fraktionsvorsitzende der Linken Rhein-Erft Stefan Söhngen plädierten einmütig für ein starkes Gewicht der Wirtschaftspolitik im Landtagswahlprogramm der Linken für 2027. Keinen Widerspruch fand auch Söhngens These, Die Linke dürfe nicht nur für die urbanen Zentren Politik machen, sondern müsse auch in den weniger dicht besiedelten Räumen ein Angebot machen, wo bspw. mehr ÖPNV wünschenswert, aber das Auto schlechterdings nicht wegzudenken sei. Morisse unterstrich den Stellenwert einer Programmatik, die mit einem unrealistisch zu erwartenden Geldsegen von der Bundesebene stehe oder falle. Interessierte Beiträge aus dem Publikum, das live in der Essener Geschäftsstelle und wie in den Workshops zuvor auch per Videokonferenz teilnahm, rundeten die Debatte ab. Die SL NRW bedankte sich bei allen Referent:innen, allen Teilnehmenden und nicht zuletzt der Essener Linken, deren Geschäftsstelle ausgerechnet bei dieser Veranstaltung Zielscheibe eines vermutlich extrem rechten Angriffs wurde.